Aus: „Warum ich weder Calvinist noch Arminianer bin – Verbindende Gedanke zu einem trennenden Thema“ von Wilfried Plock, CMD-Hünfeld, 2. Aufl. 2018, S. 175-179

Im Folgenden möchte ich einige Prinzipien aufzeigen, die ein harmonisches Miteinander, trotz unterschiedlicher Erkenntnisse, möglich machen. Gemäß der Schrift sollen wir ja die Einheit des Geistes nicht herstellen – sondern bewahren (Eph 4,3).

1. Das weise Vorgehen der Ältesten erhält die Einheit
Die Schrift lehrt, dass die Ältesten einer Ortsgemeinde (oder eine andere Leitungsform) in besonderer Weise die Verantwortung für die Lehrausrichtung einer Gemeinde tragen.
a. Besitzt die Gemeinde von der Gründung an ein Glaubensbekenntnis oder ähnliches, dann fände ich es weise, wenn die Frage nach Erwählung Gottes und Verantwortung des Menschen offengelassen bzw. im Erkenntnisbereich des Einzelnen belassen würde. Diese Vorgehensweise ist besonders wichtig, wenn die Gemeindeleitung „gemischt“ besetzt ist.
b. Ist die Gemeindearbeit von Beginn einseitig einem Lehrsystem zugeneigt, muss diese Festlegung für jedes Gemeindeglied und für alle Besucher offen dargelegt sein. In diesem Falle müssen sich alle Gläubigen verpflichten, weder öffentlich noch im Verborgenen gegen die offizielle Lehre der Gemeinde vorzugehen – selbst, wenn sie im Herzen eine andere Erkenntnis haben.
c. Sollte die Gemeindeleitung als Ganzes im Lauf der Zeit ihre theologische Sicht ändern, dann muss sie die relevanten Lehrpunkte neu mit der gesamten Gemeinde besprechen bzw. diskutieren. Wird die lehrmäßige Neuausrichtung von der Gemeinde angenommen, sollte sie selbstverständlich wiederum schriftlich fixiert werden. Wird sie nicht angenommen, gilt weiterhin Punkt a.
d. Aus Rücksicht auf die unterschiedlichen Gewissen der Christen und weil niemand über den Glauben anderer herrschen soll (2Kor 1,24; 1Petr 5,3), ist es weise, wenn die Verkündiger sich im Blick auf die trennenden Themen zurückhalten.
e. Manche Gemeinden haben bei strittigen Lehrfragen eine Art „Beröa-Kreis“ eingerichtet. Dort konnten lehrbegabte Gemeindeglieder offen über Schriftstellen nachdenken und sich darüber austauschen – ohne die geschwisterliche Liebe zu verletzen.

2. Übergeordnete Ziele fördern die Einheit
a. Wenn die Gemeinde als Ganzes sowie die einzelnen Gläubigen den schriftgemäßen Auftrag der Verbreitung des Evangeliums ausführen, treten untergeordnete Erkenntnisunterschiede ganz schnell in den Hintergrund (Mt 28,19; Mk 16,15; Luk 24,47; Apg 1,8).
b. Wenn die Gemeindeglieder ihre Gaben zur Erbauung des Leibes Christi einsetzen und dabei nicht ungebührlich kontrolliert oder gar gemobbt und wegen Erkenntnisunterschieden aus Diensten gedrängt werden, dann wird sich die Vielfalt fruchtbar auf das Gemeindewachstum auswirken (Röm 12,6-8; 1Kor 12; Eph 4,11-16; 1Petr 4,10-11).
c. Gemeinsame Anbetung und Fürbitte fördern ebenfalls die Einheit der Ortsgemeinde (Röm 10,1; Eph 6,18).
d. Wenn das Band der Liebe und des Friedens die Gläubigen zusammenhält, wird sich niemand von den Geschwistern zurückziehen und die gegenseitige Fürsorge wird vor Erkenntnisunterschieden nicht Halt machen (1Kor 12,18-26; Kol 3,12-17).
Denn wichtiger als alle genannten unterschiedlichen Sichtweisen ist die Liebe zu den Brüdern und Schwestern. Ich will lieber lehrmäßig schiefliegen als eine falsche Herzenshaltung zu anderen Christen haben. Ersteres kann Gott in einem Nu verändern, Letzteres dauert womöglich ein Leben lang.

3. Unter Umständen bewahrt das Verlassen der Gemeinde die Einheit
Werden Lehrunterschiede als so schwerwiegend empfunden, dass keine weitere harmonische Zusammenarbeit möglich ist, dann bleibt – aus Rücksicht auf die Einheit – nur das Verlassen der Gemeinde übrig.
Ich weiß, wie schwer es ist, sich nur in einem einzigen Lehrpunkt zu revidieren. Es ist noch ungleich schwerer, eine ganze Auslegungstradition als falsch zu erkennen und daraus die Konsequenzen zu ziehen. Aber es gibt noch eine Steigerung. Am schwersten ist es, die gesamte Lebensposition, die man sich aufgebaut hat und die vielleicht sogar die Einkommensquelle geworden ist, über Bord zu werfen und einen neuen Weg einzuschlagen.
Solch ein Schritt ist nur möglich, wenn die Liebe zur Wahrheit Gottes sehr groß ist. Es braucht sicherlich auch Mut und Charakterstärke. Meine Frau und ich wurden 1990 einen solchen Weg geführt. Unser geliebter Herr gab uns Kraft, eine Glaubensrichtung zu verlassen, auf ein geregeltes Einkommen zu verzichten und mit Gemeindegründungsarbeit in Mannheim zu beginnen. Diesen Schritt haben wir bis heute keinen Augenblick lang bereut.
Vielleicht führt der Herr auch eine Leserin oder einen Leser dieser Zeilen einen ähnlichen Weg. Ich möchte Mut machen, um der Wahrheit willen ein als falsch erkanntes System zu überwinden und ohne Rechthaberei allein der Schrift zu folgen.

4. Kurskorrektur erneuert die Einheit
Es ist auch möglich, dass eine Gemeinde bestimmte Lehrpunkte revidiert oder sogar eine ganze Auslegungstradition als falsch erkennt. In diesem Fall sollte ebenfalls nach den oben beschriebenen Grundsätzen vorgegangen werden.

Das ist schließlich eine Absicht meines Buches „Warum ich weder Calvinist noch Arminianer bin“ (CMD-Hünfeld). Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass Ortsgemeinden und ganze Glaubensrichtungen ihre hermeneutischen Brillen ablegen und menschengemachte Systeme aufgeben werden. Dann könnte sogar die Einheit des Leibes Christi im gesamten deutschsprachigen Raum neu gefördert werden.

© Wilfried Plock, Hünfeld