Prof. Dr. Leighton Flowers

 

Sowohl die traditionelle Auffassung als auch die Auffassung der gemeinschaftlichen Erwählung werden in der SEA (Society of Evangelical Arminians) vertreten, denn für beide Auffassungen gilt, Erwählung und Prädestination sind vom Glauben an Christus abhängig. Das vorliegende Material ist der Zondervan’s NIV Life Study Bible (amerik. Studienbibel) entnommen. Die Darlegung der Erwählungs- und Prädestinationslehre ist gefolgt von einigen Kommentaren, die in dieser Studienbibel zu 1. Petrus 1,2 und Römer 8,29 zu finden sind. Diese Kommentare sollen aufzeigen, welcher Zusammenhang zwischen gemeinschaftlicher Erwählung und Gottes Vorsehung besteht. Im Folgenden lesen Sie die Auszüge aus der Life Study Bible:

Erwählung:

Gottes Erwählung von jenen, die an Christus glauben, ist eine wichtige Lehre des Apostels Paulus (siehe Röm 8,29-33; 9,6-26; 11,5.7.28; Kol 3,12; 1Thes 1,4; 2Thes 2,13; Tit 1,1). Erwählung (griech.: eklego) bezieht sich auf die Erwählung eines Volkes in Christus, das er dazu bestimmt, heilig und tadellos in seinen Augen zu sein (2Thes 2,13). Paulus betrachtet diese Erwählung als Ausdruck von Gottes Initiative als einem Gott der unendlichen Liebe, indem er uns als den endlichen Geschöpfen jeden geistlichen Segen durch das Erlösungswerk in seinem Sohn gibt (Eph 1,3-5). Die paulinische Lehre über die Erwählung beinhaltet folgende Wahrheiten:

Erwählung ist christozentrisch, d. h., Erwählung ereignet sich ausschließlich in der Vereinigung mit Christus. „Er erwählt uns in ihm“ (Eph 1,4). Jesus selbst ist vor allen anderen der Erwählte Gottes. Was Jesus angeht, sagt Gott: „Siehe, mein Knecht, den ich erwählt habe“ (Mt 12,18; vergl. Jes 42,1; 1Petr 2,4). Christus als der Erwählte, ist die Grundlage unserer Erwählung. Allein in der Vereinigung mit Christus gehören wir zu den Erwählten (Eph 1,4.6-7.9-10.12-13). Es gibt nur Erwählte im Zusammenhang mit der Vereinigung mit Christus durch Glauben.

Erwählung geschieht „in ihm … durch sein Blut“ (Eph 1,7). Es war Gottes Ratschluss vor der Schöpfung (Eph 1,4), sich durch die Erlösung Christi aufgrund seines Todes am Kreuz ein Volk zu schaffen. Demzufolge ist Erwählung gegründet auf den Opfertod Christi, um uns von unseren Sünden zu erretten (Apg 20,28; Röm 3,24-26).

Erwählung in Christus ist in erster Linie gemeinschaftlich, d. h., es handelt sich um die Erwählung eines Volkes (Eph 1,4-5.7.9). Die Erwählten werden als „Leib Christi“ (4,12) bezeichnet, als „meine Gemeinde“ (Mt 16,18), als „ein Volk des Eigentums für Gott“ (1Petr 2,9) und als die „Braut“ Christi (Offb 19,7). Deshalb ist Erwählung gemeinschaftlich und umfasst einzelne Personen nur in dem Sinne, dass diese sich mit dem Leib Christi, der wahren Gemeinde (Eph 1,22-23; siehe Robert Shank, Elect in the Son, Minneapolis: Bethany House Publishers), identifizieren und sich dieser anschließen. Dies verhielt sich bereits so mit Israel im Alten Bund (siehe 5Mo 29,18-21; 2Kö 21,14).

Die Erwählung des Leibes Christi zum Heil und zur Heiligung ist immer gewiss …

(a) Gottes ewiger Ratschluss für die Gemeinde ist, dass „wir heilig und tadellos vor ihm seien“ (Eph 1,4). Dies bezieht sich sowohl auf die Sünde (1,7) als auch auf die Reinheit der Gemeinde als Braut Christi. Die Erwählten Gottes werden vom Heiligen Geist in die Heiligung und Heiligkeit geführt (Röm 8,14; Gal 5,16-25). Der Apostel betont wiederholt diesen herausragenden göttlichen Ratschluss (Eph 2,10; 3,14-19; 4,1-3; 13-24; 5,1-18).

(b) Die Erfüllung dieses göttlichen Ratschlusses für die Gemeinde als Körperschaft ist gewiss: „…damit er sie sich selbst darstelle als eine Gemeinde, die herrlich sei, sodass sie weder Flecken noch Runzeln noch etwas Ähnliches habe, sondern dass sie heilig und tadellos sei“ (Eph 5,27), jedoch nicht ohne Heiligungs- und Reinigungsprozess (Eph 5,26).  

(c) Dieser Ratschluss erweist sich auch an der einzelnen Person in der Gemeinde und schließt ebenso den Prozess der Heiligung mit ein. Christus wird jeden „heilig und tadellos und unanklagbar darstellen vor seinem Angesicht, wenn er nämlich im Glauben gegründet und festbleibt und sich nicht abbringen lasst von der Hoffnung des Evangeliums …“ (Kol 1,22-23).

Erwählung zum Heil in Christus ist allen Menschen zugänglich (Joh 3,16-17; 1Ti 2,4-6; Tit 2,11, Hebr 2,9), aber das Heil wird von einzelnen Personen unter der Bedingung erlangt, dass sie Buße tun und glauben, indem sie Gottes Gabe des Heils in Christus annehmen (Eph 2,8; 3,17; Apg 20,21; Röm 1,16; 4,16). In dem Augenblick, an dem eine Person glaubt, wird sie in den erwählten Leib Christi (die Gemeinde) einverleibt durch den Heiligen Geist (1Kor 12,13). Dadurch wird eine Person zu einem Erwählten. Dies ist demzufolge sowohl Gottes Initiative als auch das Handeln einer Person in dem Prozess der Erwählung (Röm 8,29; 2Petr 1,1-11).

Prädestination:

Prädestination (Vorherbestimmung, gr.: proorizo) bedeutet vorherbeschließen oder vorherbestimmen und beinhaltet Gottes Ratschluss in der Erwählung. Erwählung besteht in Gottes Ratschluss „in Christus,“ ein Volk (die wahre Gemeinde) für sich zu schaffen. Prädestination umfasst alles, was mit Gottes Volk geschehen wird (alle wahren Gläubigen in Christus).

Gott prädestiniert seine Erwählten, um

(a) berufen zu sein (Röm 8,30);

(b) gerechtfertigt zu werden (Röm 3,24; 8,30);

(c) verherrlicht zu werden (Röm 8,30);

(d) in das Ebenbild seines Sohnes umgestaltet zu sein (Röm 8,29);

(e) heilig und tadellos zu sein (Eph 1,4);

(f) als Gotteskinder in die Sohnesstellung versetzt zu sein (1,5);

(g) erlöst zu sein (1,7);

(h) ein Erbe zu empfangen (1,14);

(i) zum Preise seiner Herrlichkeit zu sein (Eph 1,2; 1Petr 2,9);

(j) den Heiligen Geist zu empfangen (Eph 1,13; Gal 3,14); 

(k) geschaffen zu sein für gute Werke (Eph 2,10).

Prädestination, wie Erwählung, beziehen sich auf die Körperschaft des Leibes Christi (d.i. die wahre geistliche Gemeinde), der Personen nur im Zusammenhang mit diesem Leib durch den lebendigen Glauben an Jesus Christus angehören (Eph 1,5.7.13; Apg 2,38-41; 16,31).

Zusammenfassung

Was Erwählung und Prädestination (Vorherbestimmung) angeht, könnten wir das Bild eines großen Schiffes verwenden, das auf dem Weg in den Himmel ist. Das Schiff, die Gemeinde, besteht aus den Erwählten Gottes, und dieses Schiff ist sein Eigentum. Christus ist der Kapitän des Schiffs. Alle, die den Wunsch haben, ein Teil dieses erwählten Schiffes zu sein, können durch den lebendigen Glauben an Christus an Bord kommen. Erwählung ist stets mit der Vereinigung mit dem Kapitän des Schiffes verbunden. Prädestination sagt etwas aus über die Bestimmung des Schiffes und darüber, was Gott für diejenigen bereitet hat, die „versiegelt wurden, nachdem sie gläubig geworden sind“ (Eph 1,13). Gott lädt jeden Menschen ein, durch Glauben an Jesus Christus an Bord des erwählten Schiffes zu kommen. [Life in the Spirit Study Bible, S. 1854-1855]

Zu 1. Petrus 1,2 heißt es in der Anmerkung der Life Study Bible über Erwählung: „Wir sind ‚erwählt,‘ Gottes Volk zu sein auf der Grundlage seiner Vorherbestimmung, d.h., auf der Grundlage von Gottes allumfassender Erkenntnis seines Erlösungsplans in Christus für die Gemeinde, bevor die Schöpfung und menschliche Geschichte begann (siehe Röm 8,29).“[i]

Vorsehung:[1]

Vorsehung ist im Grunde ein Synonym für Gottes souveränen und weitsichtigen Ratschluss der Erlösung aufgrund seiner ewigen Liebe. Die „Erwählten“ sind die Gemeinschaft der wahren Gläubigen, die in Übereinstimmung mit Gottes festgesetztem Ratschluss erwählt sind, durch das Blut Jesu Christi und das heiligende Werk des Heiligen Geistes in der Gemeinde erlöst zu werden. Alle Gläubigen müssen, um erwählt zu werden, im Glauben antworten und allen Eifer daransetzen, ihre Berufung und Erwählung festzumachen, wobei es in der Kombination der beiden Begriffe „Berufung und Erwählung“ um die Einberufung ins Tausendjährige Reich geht (2Petr 1,5.10).

Zu Römer 8,29 heißt es in der Anmerkung der Life Study Bible über Vorsehung: ‚Vorsehung‘ in diesem Vers ist gleichbedeutend mit ‚vorhergeliebt‘ und wird im Sinne von ‚jemandem liebendes Wohlwollen erweisen‘, ‚jemanden erwählen, um ihm von Ewigkeit an Liebe zu erweisen‘ gebraucht (vergl. 2Mo 2,25; Ps 1,6; Hos 13,5; Mt 7,23; 1Kor 8,3; Gal 4,9; 1Joh 3,1).

Unter Vorsehung versteht man, dass Gott von Ewigkeit an den Ratschluss fasste, die menschliche Rasse zu lieben und zu erlösen durch Christus (Röm 5,8; Joh 3,16). Der Empfänger von Gottes Vorsehung oder Vorhergeliebtseins steht im Plural und bezieht sich auf die Gemeinde. Das bedeutet, dass Gott in erster Linie die Körperschaft des Leibes Christi zuvor geliebt hat (Eph 1,4; 2,4; 1Joh 4,19) und Individuen nur dann einschließt, sofern sie sich mit der Körperschaft des Leibes Christi identifizieren, indem sie im Glauben und in der Vereinigung mit Christus verharren (Joh 15,1-6).

Die Körperschaft des Leibes Christ wird die Verherrlichung erfahren (V. 30).

**************   Ende des Zitates aus der Life Study Bible     ***************

Eine weitere Interpretation von Vorsehung in Bezug auf Erwählung, die in der Life Study Bible nicht angeführt wird, lehrt, dass Gott vor Grundlegung der Welt der Gemeinschaft des Volkes Gottes zuerkannte, sein Bündnispartner zu sein (siehe Brian Abasciano, “Clearing Up Misconceptions about Corporate Election”, Ashland Theological Journal 41,2009, S. 67-102).

Selbst wenn die Gefahr einer zu groben Vereinfachung besteht, könnte man alle Auffassungen gemeinschaftlicher Erwählung in einem Punkt zusammenfassen, indem man sagt, dass Erwählung aufgrund von Vorsehung von der Erwählung spricht, die ihre Grundlage in der Erwählung des Christus und des gemeinschaftlichen Volkes Gottes in der Ewigkeit hat.

Prof. Dr. Leighton Flowers, The Corporate View of Election.

URL: https://soteriology101.com/2015/03/09/the-corporate-view-of-election


 

 


Anmerkung durch Dr. Leighton Flowers:

Nein, hierbei handelt es sich nicht um eine Sichtweise von Erwählung, die das Individuum ausschließt, wie einige Gegner annehmen. Tatsächlich muss man argumentieren, dass es sich hierbei um eine Auffassung handelt, die das Individuum stärker in den Mittelpunkt stellt, da die Erwählung das Individuum mit all seiner Sünde im Blick hat. Die calvinistische Erwählungslehre zum Heil geht davon aus, dass sie sich vor der Schöpfung der Welt ereignet und keinen Bezug zum Individuum und dessen Entscheidungen und Handlungen aufweist. Was verliert den Blick für das Individuum mehr aus den Augen als diese Auffassung? Stelle irgendeiner Frau die Frage, ob sie es vorzieht, von einem Mann geliebt zu werden, der sie für sich aufgrund einer vorher getroffenen Abmachung mit ihren Eltern erwählte, wobei er in keiner Weise an ihrer Person interessiert war, ODER von einem Mann, der sie durch und durch kannte, mit all ihren Fehlern, und der sich entschied, sie dennoch zu lieben! Die Auffassung der gemeinschaftlichen Erwählung ist VIEL vertraulicher und persönlicher als die calvinistische Theorie. Sie lehrt die Erwählung von Individuen, obgleich viele falsche Vorstellungen darüber verbreitet werden von jenen, die sie nicht richtig verstehen.

Anmerkung von Wilfried Plock:

Dem Autor des Artikels scheinen diese Informationen in Bezug auf den Begriff „Vorsehung“ nicht bekannt zu sein, deswegen versucht er eine einende Interpretation der beiden Bedeutungen wiederzugeben.

Griechische Lexika geben den Begriff proginooskein unterschiedlich wieder: In der griechischen Klassik wird der Begriff nicht als „Im Voraus ausersehen“, bzw. „vorherbestimmen“ gebraucht (Thayers Greek Lexikon, Luow Nida). Bei Clemens, Justin, Origenes und Hermas findet sich nur die Grundbedeutung von „voherwissen.“ Menge-Güthling und Bauer, Danker, Arndt & Gingrich, Haubeck verwenden auch die Bedeutung „Im Voraus jemanden ausersehen“ im Sinne von „zuvor bestimmen“ (erwählen) bzw. „Vorherbestimmung“. Hier scheint eine theologische Überzeugung die Begriffsbestimmung zu beeinflussen.

aus: Thomas Jettel: Erwählung und Vorherbestimmung, CMV Bielefeld, 1. Aufl.2012, S. 96-97